1945

Nach der großen Katastrophe (1945/46)

 

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Am Anfang des Krankenhauses Dresden-Neustadt steht ein Ende, das Ende der schlimmsten Kriegskatastrophe, die sich auf deutschem Boden je zugetragen hat. Die Dresdner sind besonders betroffen. Ein knappes Vierteljahr vor dem totalen Zusammenbruch des nazistischen Deutschen Reiches müssen sie erleben, wie ihre Heimatstadt Elbflorenz, die Perle des sächsischen Barock, in Schutt und Asche zerfällt. Noch liegt Brandgeruch über der Stadt. Die Innenstadt ist unpassierbar, nahezu alle Elbbrücken sind zerstört. Die Zufuhr mit Lebensmitteln ist nur für Tage gesichert, große Teile der Stadt sind von der Versorgung mit Wasser und Elektroenergie abgeschnitten. Mit den Leiden und Belastungen der fünfeinhalb Kriegsjahre addieren sich die Verluste des Februar 1945 zu einer niederschmetternden Bilanz. Alle Autorität ist dahin. Was zu tun ist, regeln die Sieger in ihren erdbraunen Uniformen durch Befehl. Zeit ist nicht zu verlieren, denn in die zerstörte Stadt, den wichtigen sächsischen Verkehrsknotenpunkt, strömen unübersehbare Menschenkolonnen, Strandgut des verlorenen Krieges. Es bleibt keine Zeit zu klagen. Leben und Überleben fordern ihre Rechte. Eine Stadtverwaltung der ersten Stunde muss sich den schier übermenschlichen Problemen stellen.

Die Bilanz auf dem Gesundheitssektor ist verheerend. Die drei Städtischen Dresdner Krankenhäuser Johannstadt, Friedrichstadt und Löbtau haben durch die anglo-amerikanischen Fliegerangriffe im Februar und April 1945 zwei Drittel ihres Bestandes an Betten und Versorgungseinrichtungen verloren. Die dort und an anderen Orten stationierten Wehrmachtsreservelazarette verlassen Dresden mit den deutschen Truppen im April/Mai unter Mitnahme der Krankenhausausrüstungen, wie Röntgeneinrichtungen, Operationseinrichtungen, Krankenhausbetten, Sterilisationsanlagen sowie Wäsche und des gesamten Fuhrparks für Krankentransporte. Es gibt in ganz Dresden keine betriebsfähige Röntgeneinrichtung. Das unter Leitung von Dr. med. Grube stehende Gesundheitsdezernat der Dresdner Stadtverwaltung resümiert später den Rückgang der Gesamtbettenzahl von 7500 auf 1516 bei nahezu stündlich wachsendem Bedarf.
Eine Typhusepidemie bricht aus. Ausgangspunkt ist die Durchgangsstelle für Flüchtlingstransporte im Bereich des Bahnhofs Friedrichstadt. Das betroffene Gebiet muss zeitweilig abgesperrt werden. Die Krankheit findet unter den schlechten Lebensverhältnissen, insbesondere durch die Unterernährung der Bevölkerung, eine für Dresden ungewöhnliche Ausdehnung. Die Epidemie erreicht mit 70 Erkrankungen pro Woche ihren Höhepunkt im August 1945. Die sowjetische Militärverwaltung greift mit Ärzten und Sanitätspersonal ein, stellt Desinfektionsmittel und Impfstoff zur Verfügung, befiehlt die durchgängige Impfung der deutschen Bevölkerung gegen Bauch- und Paratyphus. So gelingt es, die Epidemie einzudämmen. Doch ab Oktober steigt die Zahl der Tuberkulosefälle erheblich an. Diphterieerkrankungen, insbesondere auch unter Erwachsenen, verlaufen vielfach tödlich. Am bedrohlichsten ist das Fleckfieber, das vorwiegend Umsiedler und entlassene Kriegsgefangene befällt. Geschlechtskrankheiten als Zeichen wirtschaftlicher und moralischer Not nehmen stark zu. Es ist eines der wichtigsten Gebote der Stunde, das Dresdner Gesundheitswesen neu aufzubauen.

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Die Dresdner Stadtverwaltung beginnt mit der Einrichtung von Hilfskrankenhäusern. Auf der Neustädter Seite, der durch die zerstörten Elbbrücken weitgehend geteilten Stadt, ist es vor allem das ehemalige Wehrmachtsreservelazarett im Gebäude der 26. Volksschule auf der Wurzener Straße, das mit 125 Betten seit Mai 1945 als Krankenhaus Dresden-Neustadt genutzt werden kann. Weitere 74 Betten stehen bei Kriegsende in der Klotzscher Spezialklinik für Wirbeltuberkuloseerkrankungen und 25 im Oberlößnitzer Ermelhaus, einem von der Stadt Dresden durch gemeinnützige Stiftung 1893/94 geschaffenen Entbindungsheims für ledige Mütter, zur Verfügung. Durch Mobilisierung aller Reserven gelingt es bis zum Jahresende 1945, die Zahl der Krankenhausbetten im Dresdner Norden von 224 auf 1178 zu steigern.

Den stärksten Zuwachs, nämlich 360 Betten, bringt die Einbeziehung des Güntzheimes auf der Trachauer Industriestraße. Hier hatte die Stadt Dresden 1927/28 auf einem 3,8 ha großen Gelände unter Einbeziehung von Mitteln der Güntzstiftung ein für die damalige Zeit hochmodernes Altersheim errichtet. In insgesamt acht Pavillonbauten, die sich, durch einen Laubengang verbunden, um eine großzügig angelegte Grünanlage verteilen, fanden ältere Ehepaare oder alleinstehende Rentner - hier "Pfründner" genannt - einen angenehmen Lebensabend. Die fortschrittliche Konzeption der Anlage, mit technischen und hygienischen Einrichtungen nach neuesten Erfahrungen versehen, machten das Güntzheim zu einer vielgefragten Einrichtung. Jetzt muß kurzfristig für die alten Leute eine Unterbringung außerhalb Dresdens gesucht werden. Schloß Hermsdorf und ein ehemaliges Kurhotel in Bad Schandau nehmen die Insassen des Güntzheimes auf. Weitere Krankenhausplätze werden in der Gauschule der NSDAP auf dem Haideberg (Oberlößnitz) und in der Polizeikaserne Neuländer Straße geschaffen. Nur kurze Zeit existieren Provisorien am Wilden Mann mit 188 Betten und im Industriegelände an der Königsbrücker Straße mit 130 Betten.

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Doch die Gewinnung von Unterkünften und Krankenhausbetten ist nur die eine Seite. Es fehlt an Ärzten, Schwestern, Pflegepersonal. Bereits am 30. Mai ruft der Dresdner Oberbürgermeister alle Ärzte und das berufliche Sanitätspersonal auf, sich bei der Ortsärztekammer zu melden. Es mangelt vor allem an ausgebildeten Kräften. Nur 25-30 % des Personals sind geprüfte Schwestern bzw. Pfleger und Pflegerinnen - alles andere angelernte Hilfskräfte. Unterschiedlich sind die Motive der Menschen, die sich mit ganzer Kraft dem drohenden Chaos entgegenstemmen:
Humanismus, Verantwortungsbewusstsein, Vergessenwollen - mitunter aber auch nur der Wunsch nach der täglichen Mahlzeit und dem Schlafplatz - mehr hatte das Gesundheitswesen seinen Helden 1945 kaum zu bieten.

Das Personal des Behelfskrankenhauses Dresden-Neustadt (Wurzener Straße) arbeitet bis Anfang 1946 ohne finanzielle Vergütung. Die ersten Monatsgehälter für Krankenschwestern betragen 176 Mark. In Trachau wohnen sie bis 1948 selbst in den Infektionsbereichen auf den Stationen zwischen den Kranken. Stellvertretend für andere werden aus den Reihen der Pioniere des Anfangs genannt: Dr. med. Zechmeister, Dr. med. Winkelmann, Dr. med. Dilling, Dr. med. Keller, Frieda Wagner, Maria Loos, Meta Sund, Kurt Gabler, Ursula Schilling. Unter denen, die sich beim schweren Neuanfang nicht schonen, ist auch die spätere Oberin Martha Marquardt. Sie erlebt den Bombenhagel des 13. Februar 1945 in der Dresdner Frauenklinik auf der Pfotenhauerstraße. Gemeinsam mit anderen beherzten Schwestern birgt sie während des Infernos 73 neugeborene Kinder aus den verschütteten Kellern.

Ärztlicher Leiter des entstehenden Krankenhauses Neustadt ist bis 1946 der Gynäkologe Dr. med. Unterdörfer, der diese Aufgabe nach mehreren Jahren an den Chirurgen Dr. med. Kaiser abgibt. Die ärztliche Verantwortung für die Trachauer Einrichtung liegt 1945/46 bei dem Venerologen Dr. med. Linser und dem Internisten Dr. med. Naumann, dem 1946/47 Dr. med. Schreiber und 1948 Dr. med. Schmeiser in dieser Aufgabe nachfolgen.

© Verlag Horst R. Rein, Dresden, 1998